Von Silke Hansmann (stellvertretende Juso-Landesvorsitzende).
Am vergangenen Samstag hat die Fußball-WM der Frauen in Kanada begonnen. Natürlich ist es grundsätzlich so, dass der Frauen-WM deutlich weniger Aufmerksamkeit zukommt als dem männlichen Pendant – selbst als 2003 und 2007 die deutsche Frauenmannschaft gewinnt. Auch dass der ARD-Werbeeinspieler zur Frauen-WM in gewohnt sexistischer Manier mit dem Spruch „Die Highheels für die besonderen Momente“ während eine Reihe hochhackiger Schuhe gefilmt wird, die mit Fußballschuhen endet, daher kommt, wundert uns nicht. Das alles ist sexistisch, diskriminierend und abwertend gegenüber Frauen im Leistungssport – aber leider gehört das bereits zum sexistischen Normalzustand!
Doch bei dieser Frauen-WM hat sich noch etwas verändert. Die Fifa hat Lehren aus der vergangenen Weltmeisterschaft 2011 in Deutschland gezogen. Damals war die Aufregung groß um das Team von Äquatorialguinea. Es wurde unterstellt, dass bei ihnen drei Spielerinnen im Kader seien, die in Wirklichkeit Männer oder mindestens Intersexuelle seien. Die Konsequenz der Fifa: Alle teilnehmenden Teams müssen sich einem Geschlechtstest unterziehen. Nach außen geht es dem Weltfußballverband bei diesem Test offenbar vor allem um Chancengleichheit. Im 2011 verabschiedeten „Gender Verification“-Reglement der Fifa heißt es: „Androgene wirken sich leistungssteigernd auf Stärke, Kraft und Schnelligkeit aus, was im Fußball einen Vorteil bedeuten kann, der über den Ausgang eines Spiels mitentscheidet. Im Hinblick auf die Integrität des Fußballs muss gewährleistet sein, dass die Spieler die jeweiligen Teilnahmekriterien erfüllen. Es fällt in die Verantwortung der Mitgliedsverbände und der Mannschaftsärzte, das Geschlecht ihrer Spieler sicherzustellen.“
Die Diskussion über Geschlechtstests im Spitzensport ist nicht neu: Diskutiert wurde in der Öffentlichkeit besonders im Fall der Leichtathletin Caster Semenya. Die Südafrikanerin musste sich immer wieder gegen Vorwürfe wehren, sie sei gar keine Frau. Das IOC reagierte auf diese Debatte ebenfalls. Intersexuelle Athletinnen dürfen nur dann bei den Frauen an den Start gehen, wenn sie nachweislich weniger männliche Sexualhormone aufweisen als ein Mann. Andernfalls müssen die Athletinnen mit „Hyperandrogenismus“ sich einer androgensenkenden Behandlung unterziehen, um keinen vermeintlichen Wettbewerbsvorteil zu haben.
Geschlechtstest grundsätzlicher Natur sind bei Olympia keine Seltenheit. Sie wurden bei den Olympischen Spielen 1968 eingeführt, vor den Sommerspielen 2000 in Sydney wurde die sogenannte „Gender Verification“ jedoch wieder abgeschafft und ist nur noch in strittigen Fällen vorgesehen. Auf biologischer Ebene kann das Dilemma des IOC zusammengefasst werden: Zumeist weisen Frauen zwei X-Chromosomen (XX) in ihren Zellen auf, Männer ein X- und ein Y-Chromosom (XY). Manche mit einem Y-Chromosom geborenen Menschen entwickeln alle äußeren, körperlichen Merkmale einer Frau – ausgenommen die internen Sexualorgane.
Daher stellt der Internationale Leichtathletik-Verband IAAF nach dem Fall Semenya seinen Ausführungen einen Punkt voran: „Die Wettbewerbe werden weiterhin getrennt bei Männern und Frauen ausgetragen.“ Das klingt zunächst banal, schafft aber die Voraussetzung, um eine klare Kategorisierung in zwei Geschlechter vorzunehmen. Seit dem Fall Caster Semenya hat scheinbar auch die Sportwelt begriffen, dass es Menschen gibt, die nicht hundertprozentig einem Geschlecht zuzuordnen sind. Der Sport hat sozusagen die Intersexualität entdeckt. Oder anders gesagt: Er konnte sich der Debatte nicht entziehen, hat die Konsequenzen aber nicht weiter gedacht.
Aktuell gibt es eine weitere Auseinandersetzung um die indische Sprinterin Dutee Chand. Nachdem sie aufgrund eines sogenannten „Hyperandrogenismus“ von der Teilnahme an einem Wettbewerb ausgeschlossen worden war, hat sie beim internationalen Sportgerichtshof CAS gegen den offiziellen Umgang mit „typisch männlichen Androgenwerten“ bei Frauen geklagt. Der Vorgang ist das erste CAS-Verfahren in der Frage, wie mit den natürlich erhöhten Werten des männlichen Hormons Testosteron bei Frauen umzugehen ist.
Der Leichtathletik-Weltverband erklärt seine Entscheidung damit, dass männliche Sexualhormone hauptsächlich für die höhere körperliche Leistungsfähigkeit von Männern verantwortlich seien. Aus diesem Grund liefere auch ein ungewöhnlich hoher Testosteronspiegel einen unfairen Vorteil bei Frauenwettkämpfen. Das Internationale Olympische Komitee IOC schloss sich dem 2012 an.
Wollen die betroffenen Frauen ihre Karriere fortsetzen, bleibt ihnen nur eine Möglichkeit: Sie müssen mit Medikamenten oder einer Operation ihren Hormonspiegel senken.
Die Chancen stehen jedoch gut, dass Dutee Chands Klage etwas verändern kann. Denn die Regelungen des IAAF und des IOC besitzen einen großen Schwachpunkt: Sie versuchen, eine wissenschaftliche Trennlinie zwischen den Kategorien männlich und weiblich zu ziehen. Das ist aber so nicht möglich.
Die Argumentation des IAAF und des IOC besitzen mindestens zwei Schwachpunkte. Zum einen sind aus hormoneller Sicht männlich und weiblich nur Extrempunkte. Alles dazwischen ist ein Kontinuum. Es muss anerkannt werden, dass viele Schnittstellen zwischen den Geschlechtern existieren. Daher ist die Kategorisierung der Verbände willkürlich und eben nicht eindeutig nachweisbar. Außerdem unterliegt der natürliche Testosteronwert von Männern ja auch keiner Maximalbeschränkung.
Zum anderen ist nicht bewiesen, dass Frauen im Sport von einem hohen Testosteronspiegel profitieren. Zwar weisen Doping-Erfahrungen darauf hin, dass Testosteron Muskelmasse und Kraft steigern kann. Es ist jedoch nicht nachgewiesen, dass das vom Körper selbst produzierte Testosteron genauso wirkt wie das künstlich durch Doping zugeführte.
Offen bleibt folgende Frage: Selbst wenn es einen Effekt geben sollte, warum sollte dieser Effekt schwerer wiegen als andere körperliche Vorteile? Andere genetische Voraussetzungen werden schließlich auch nicht von den Sportverbänden sanktioniert, obwohl sie de facto Vorteile bringen. Hier sind zum Beispiel die Länge der Beine, die Sauerstofftransportfähigkeit des Blutes oder das Volumen der Lunge gemeint.
Als Lösung könnte eine Regelung, die vor einiger Zeit abgeschafft wurde, übernommen werden. Wenn eine Sportlerin als Frau aufgewachsen ist und sich als Frau fühlt, dann sollte sie auch als Frau Sport treiben können. Unabhängig von dieser möglichen Lösung müssen die erniedrigenden Geschlechtstests im Sport sofort eingestellt und abgeschafft werden. Intersexualität darf nicht als Abweichung von der Norm stigmatisiert werden, sondern muss auch im sportlichen Bereich anerkannt werden!